Verhältnismässigkeit

Heute Morgen habe ich mir vorgenommen, in meiner Zeitung nach einem kleinen Artikel zu suchen und mir über den Inhalt Gedanken zu machen. Den Artikel fand ich schnell: Es ging dabei um ein Mädchen in Indien, welches sexuellen Übergriffen ausgesetzt war und von den Peinigern erschossen wurde. Leider verschwand die Zeitung zu schnell im Altpapier, so dass ich den Artikel, wie er dort stand, nicht nachschreiben kann. Soeben suchte ich im Internet nach dieser Meldung, es ging lange, bis ich einen Text fand, doch hier ist er:


„Weil zwei Mädchen in Indien die sexuellen Belästigungen von zwei Männern zurückwiesen, haben die Angreifer eine der Schwestern erschossen. Die 14-Jährige sei auf dem Rückweg mit ihrer älteren Schwester von ihrer Arbeit als Hausangestellte gewesen, als die Mädchen von den zwei Männern, die auf einem Motorrad unterwegs waren, belästigt worden seien, teilte die Polizei im Distrikt Sitapur in dem nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh am späten Montagabend mit. (Quelle afp)“

Ich finde diese Tat grauenhaft und versuche mir vorzustellen, wie es nun der überlebenden Schwester, den Eltern, eventuell anderen Geschwistern geht. Ein Kind zu verlieren ist schlimm. Ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen soll. Was mich aber ebenso schlimm dünkt, ist die Art, wie man solche Ereignisse NICHT mitteilt. Wäre ein Schweizer Mädchen erschossen worden, hätte die ganze Medienlandschaft aufgeschrien. Ich sehe schon die Blick-Schlagzeilen vor mir. Vermutlich wären die Mörder sofort als Ausländer abgestempelt worden, vermutlich, bevor man die Identität wusste. Tagelang wäre dieser Mord in unseren Medien präsent gewesen, man hätte sich auf alle Leute gestürzt, welche in irgendeiner Art und Weise meinten, etwas dazu sagen zu müssen.

Beim Mädchen aus Indien wird es wohl beim knappen Sechszeiler bleiben. Ob der Artikel überhaupt richtig wahrgenommen wurde? Gerade jetzt, wo es sich überall zeigt, dass Menschen nicht gleich Menschen sind, stösst mir solches Ignorieren extrem auf. Es ist nur solange schlimm, als es Schweizer oder zumindest Westeuropäer betrifft. Geht es um andere, womöglich mit leicht anderer Hautfarbe, sind es nicht mehr Menschen. Oder vielleicht doch, aber eine Klasse tiefer.

Da ich mir vorgenommen habe, mir Gedanken zu diesem Artikel zu machen, gehen diese natürlich weiter. Zur Flüchtlingskatastrophe, welche sich je länger je mehr in eine humanitäre Katastrophe umwandelt. Klar, Lösungen können nicht auf dem Präsentierteller serviert werden. Aber sind die Regierungen überhaupt an Lösungen interessiert? Geht es hier nicht auch wieder ausschliesslich um Eigeninteressen? Der Mensch als solches wird, sobald er von genug weit weg herkommt, gar nicht mehr als Mensch wahrgenommen. „Das“, was zu uns kommen möchte, stört einfach. Stört uns in unserem behaglichen Leben. Und deshalb werden auch Artikel, wie derjenige zum brutalen Mord an einem vierzehn Jahre alten Mädchen nie grösser sein. Denn sie würden uns aus unserer Komfortzone holen. Und das wollen wir auf keinen Fall.

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