Es ist Freitagabend, ich warte ziemlich nervös und ungeduldig hinter der Theke der Bibliothek darauf, dass mich die Leiterin vors Publikum holt. Sie ist jedoch immer noch daran, mein Buch und mich in den schillerndsten Farben zu loben und denkt vorläufig nicht daran, mich vorlesen zu lassen. Ich habe beinahe den Eindruck, als ob sie sich selber gern reden hört und lieber den ganzen Abend selber gestalten würde. Meine Nervosität steigert sich beinahe ins Unermessliche. Ich habe noch nie vor einem Publikum vorgelesen, überhaupt stand ich nur gerade ein Mal vor Zuschauern. Damals war ich acht Jahre alt und hätte bei einer Weihnachtsfeier vor den Eltern ein Gedicht vortragen sollen. Es blieb beim hätte, denn mir wurde so übel, dass ich mich übergeben musste und die erste Reihe vollkotzte. Seither blieben mir solch peinlichen Momente erspart, bis ich nun den Auftrag erhielt, hier in der Stadtbibliothek aus meinem ersten veröffentlichten Buch vorzulesen.
Die Geschichte war simpel. Ich beschrieb eigentlich mein eigenes Leben, so quasi der Aufstieg von einer kleinen Versagerin zur Schriftstellerin. Nur war ich am Schluss meines Buches viel selbstbewusster als ich es heute war. Meine Heldin, also mein zweites ich, wurde eine weltweit gefeierte Bestseller Autorin. Sie war zudem bildhübsch, im Gegensatz zu mir und konnte sich meisterhaft verkaufen. Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass ich all meine unerreichten Träume und Fantasien in meine Buchheldin gepackt hatte und nun vor versammeltem Publikum den künftigen Lesern schmackhaft machen sollte.
Mir wird schlecht. Jetzt bittet mich die Bibliotheksleiterin zu sich. Mir wird grauenhaft schlecht, ich würde am liebsten rückwärts zur Tür hinaus stürzen und nie wieder etwas von Büchern und Vorlesungen hören. Verdammt, ich bin Schriftstellerin (oder möchte es wenigstens gern sein) und keine Schauspielerin. Ich kann nicht vorlesen. Zur Analphabetin mutiere ich in diesem Moment auch noch. Ich werde an ein kleines Stehpult gezerrt. Magerer Applaus kommt mir entgegen. Sind überhaupt Leute da?
Ich wage einen kurzen Blick in die Bibliothek. Doch es ist zu dunkel, um viel zu erkennen. Etwa zwei Meter vor mir sitzen zwei ältere Damen sowie ein Herr in undefinierbarem Alter. Hoffentlich sind dies alle Zuhörer bete ich im Stillen. Und gleichzeitig weiss ich, dass dies die grösste Enttäuschung für mich wäre, wenn nicht mehr Leser Interesse an meinem Buch hätten. Ich habe sieben Jahre daran gearbeitet. Zugegeben, mit häufigen Unterbrüchen, Schreibblockaden nennt man dies wohl. Aber für sieben Jahre Arbeit hätte ich gern mehr Publikum gehabt.
Die Bibliotheksleiterin erteilt mir das Wort. Das heisst, ich glaube, dass sie mir das Wort erteilt, denn ich kann nichts hören. Tausende von Bienen müssen sich in meinem Kopf angesiedelt haben, denn es summt und brummt in mir herum, so dass ich nichts anderes mehr hören kann. Wie soll ich nur mit all diesen Bienen im Kopf lesen?
„Äh, guten Tag, ich werde jetzt etwas lesen“, höre ich mich da dämlich von mir geben. Was soll denn das wieder? Es ist Abend, und die Leute warten nur darauf, dass ich endlich vorlese. Wo ist das Buch? Ich kann ja nicht ohne Buch lesen. Ah, hier auf dem Pult liegt es. Ich schlage es auf. Da merke ich, dass ich meine Lesebrille noch nicht auf der Nase habe. Ich suche sie in der Tasche, aber hier finde ich sie nicht. Dann wird sie wohl im Rucksack im hinteren Zimmer sein. Ich beginne zu schwitzen. „Äh (schon wieder dieses Äh), ich muss meine Brille holen, sie liegt hinten, einen Augenblick bitte.“ Die Bibliotheksleiterin macht einen Schritt auf mich zu. Sie flüstert etwas, es tönt wie:“ auf dem Pult, links oben.“ Offenbar meint sie meine Brille, denn dort liegt mein Etui. Richtig, ich habe es beim Vorbereiten dort hingelegt, damit ich die Brille nicht lange suchen muss. Umständlich und mit zitternden Händen öffne ich das Etui und setze die Brille auf die Nase. Der Schweiss tropft mir schon die Stirn herunter. Und mir ist extrem schlecht.
Jetzt öffne ich das Buch und beginne zu lesen. Jeder Erstklässler hätte diese Aufgabe wohl besser gelöst. Die Buchstaben wollen mir nicht über die Lippen kommen, die Zunge klebt am Gaumen. Ich möchte einen Schluck Wasser zu mir nehmen und stosse dabei das Glas um. Das Wasser rinnt, wie könnte es anders sein, über mein Buch. Die ersten Seiten kann ich vergessen, ich muss weiter hinten lesen. Blind schlage ich eine der letzten Seite auf und merke ziemlich schnell, dass dies eine der weniger gelungenen Passagen ist. Ich kann mich erinnern, dass gerade in dieser Szene meine Schreibblockade hartnäckig war. Ich schäme mich fast, zu lesen.
Die Leute werden unruhig. Es wird geräuspert, gehustet und geflüstert. Nach fünf Minuten wird ein Stuhl gerückt. Der erste Zuhörer geht. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich höre ihn. Eine Tür geht auf, kurz danach wieder zu. Mir ist mittlerweile so schlecht, dass ich nach jedem Wort hörbar Atem holen muss. Nach weiteren fünf Minuten geht der nächste Zuhörer. Nun endlich erbarmt sich die Bibliotheksleiterin und beginnt lustlos zu applaudieren. Das Echo von den Zuhörern ist verschwindend klein. Ich klappe das Buch zu und selber beinahe zusammen. Irgendwie gelingt es mir, eine Verbeugung anzudeuten.
Nun dürfen die Leute mich nach dem Buch und nach mir fragen. Ich warte gespannt auf die erste Frage. Es kommt keine. Peinliche Stille folgt meinem missratenen Auftritt. Erst, als die Bibliotheksleiterin einen der wenigen Journalisten fragt, ob er denn keine Frage habe, kommt die einzige Frage des Abends: „Was arbeiteten sie, bevor sie mit Schreiben begannen?“ Und ohne meine Antwort abzuwarten, fährt der Jounalist weiter: „ haben sie im Sinn, wieder in ihren Beruf zurück zu kehren?“ Ich merke, dass ich mich übergeben muss und stürze hinaus aufs Klo. Es reicht knapp. Als ich kurze Zeit später zurück komme, sehe ich, dass noch vier Leute anwesend sind. Auf einem Tisch liegen vier Bücher. Die Bibliotheksleiterin bittet mich, diese zu signieren. Sie versucht ein letztes Lächeln und meint, ich dürfe meine Fans nicht enttäuschen. Ich setze mich auf den Stuhl und frage die erste wartende Person nach ihrem Namen. „Benno“, sagt der junge Mann, „meine Tante hat mir einen Kinoeintritt versprochen, wenn ich ein Buch von ihnen nehme. Bitte schreiben sie keine Widmung, dann kann ich das Buch weiter geben.“
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