Alphirtin «De Luxe»

Seit drei Tagen bin ich bereits Alleinherrscherin über die beiden Ziegen, die Hühner, Kaninchen und Katzen hier in Cavaione, und ich würde immer noch sagen, die Frau macht das gar nicht so schlecht.


Klar, mir ging bereits ein Futtergeschirr in die Brüche, die Ziegen wollten gestern partout nicht nach Hause, ich schlitterte heute auf dem überschneiten Eis so arg, dass sich das ganze Kaninchenfutter in den Pulverschnee grub und ich bin definitiv zu klein, um das Wassergeschirr für die Hühner elegant aufzuhängen, aber abgesehen von diesen winzigen Problemen bin ich die geborene Bäuerin. Fast schon so gut, um laut zu rufen: «Her mit euren Ziegen, Kühen, Schafen und Elefanten, ich hüte alles».

Wie sagt man so schön? Beruf verfehlt und Berufung gefunden? Nun denn, schon nicht ganz. Wenn ich mal von meinen Allmachtsgedanken wieder zum Boden zurückkehre, dann sehe ich schon, dass es nur mit etwas Futter und Kraulen hinter den Hörnern nicht gemacht ist. Das ganze Jahr in Cavaione zu leben, ist mit sehr viel Arbeit verbunden. Auch heutzutage, obwohl die Moderne viele Annehmlichkeiten mit sich gebracht hat.

Das Leben für Bauern in diesen Gegenden, und dabei spreche ich nicht nur vom mörderisch steilen Hang, an welchem Cavaione klebt, ist kein Zuckerschlecken. Einfachste Arbeiten gestalten sich als schwierig. Gras mähen ist mühsam, das Anpflanzen eines Gartens erschwert, die Wege von einem Arbeitsort zum anderen nicht einfach geradeaus. Ich stelle mir dabei vor, wie das Leben meiner Grosseltern und Urgrosseltern hier oben ausgesehen haben muss. Damals noch ohne Elektrizität, Heizung, fliessend Wasser. Nicht einmal eine Strasse führte ins Dorf hinauf, die wurde erst später in den siebziger Jahren gebaut. Kann ich mir das überhaupt vorstellen? Ich glaube nicht.

Ich besuchte gestern eine Frau, welche gleich unterhalb von mir wohnt. Sie heisst Berta und hat noch nie woanders gelebt als hier in Cavaione. Berta wird dieses Jahr 76 Jahre alt. Sie erzählte mir von ihrem Leben früher als Kind, von den Spielen, die trotz allem stattfanden, aber auch vom Helfen während der Ernten oder im Haushalt. Wir können uns dies gar nicht mehr vorstellen. Wir können solche Orte bei Auszeiten geniessen, und wenn wir genug haben, reisen wir wieder ab, zurück in den Komfort. Anna, meine Gastgeberin hat sich für ein Leben hier oben entschieden. Sie nutzt mittlerweile die Annehmlichkeiten der modernen Gesellschaft. Aber sie muss trotzdem anpacken. Ihre Tiere wollen nicht nur Futter. Sie brauchen saubere Ställe und Pflege. Jetzt, wo ich ein wenig weiss, wie sich das Leben in Cavaione anfühlen könnte, finde ich: die Frau macht das gar nicht so schlecht! 

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