Verwandtenbesuch – etwas für die Seele

In weiten Teilen Nord- und Mitteleuropas zerstörten Orkane Gebäude und forderten Menschenleben, liess der immense Schneefall Autofahrer auf der Strecke und brachte viele andere Gefahrensituationen hervor. Hier im Puschlav merkte man überhaupt nichts davon. Im Gegenteil, denn fast frühlingshafte Temperaturen liessen sogar «meine» Hühner die wiedergewonnene Freiheit geniessen. Ich musste sie heute Abend zweimal bitten, in ihren Stall zu gehen, nachdem sie auf der Weide Zweikämpfe mit den Ziegen ausgefochten hatten.


Gestern war allerdings ein Tag, an welchem weder Ziegen noch Hühner noch Katzen ihre Köpfe nach draussen strecken mochten. Auch bei uns hatte es «geluftet», und den ganzen Tag durch war es extrem kalt – also extrem kalt für mich… Anders als meine lieben Hüte-Tiere konnte ich mich allerdings nicht im warmen Bett umdrehen und den Tag verschlafen (ok, so warm ist es in den Ställen nun auch nicht), denn ich hatte einiges vor: Verwandtenbesuch.

Schon um halb zwölf Uhr kam Secondo mich mit einem kleinen Büssli holen. Auf der Ladefläche hatte er Holzstangen geladen, welche er für einen neuen Bienenverschlag geschlagen hatte. Ich war anfänglich schon ein wenig skeptisch, ob dieser Bus mich sicher ins Tal hinunterbringen würde, doch er war schliesslich auch schon hinaufgekommen, eine nicht zu unterschätzende Leistung!

Bevor wir in Secondos gemütlicher Küche von Anna (nicht «meine» Anna, sondern Secondos Frau) feine Pizzoccheri (die besten, die ich kenne) essen durften, luden wir die Holzstämme ab und bewunderte ich die vielen Geweihe, welche in der Eingangshalle hingen. Ich denke, seit meinem letzten Besuch sind ein paar neue dazugekommen. Ich genoss das Mittagessen mit den lieben Leuten sehr, auch wenn es nicht ganz einfach für mich war, dem Gespräch auf Italienisch folgen zu können. Ich habe definitiv einen Nachholbedarf in Sachen Sprachkenntnissen. Nach wie vor finde ich es ungemein schade, dass meine Mutter nie «Poschiavin» mit uns Kindern sprach.

Zu den Pizzoccheri gab es feines Puschlaver Ringbrot und natürlich ein Gläschen Wein. Da ich sonst wirklich nie Wein trinke, fragte ich mich ein wenig bange, wie diesmal meine Wanderkünste sein würden. Nach meinem letzten Besuch bei Secondo und Familie auf der Jagdhütte, waren meine Tritte hinunter nach Cavaione extrem wackelig… zum Glück (für mich) machte ich nach dem Besuch bei Secondo und Anna einen Zwischenstopp bei Claudia und Ezio, mein Kopf konnte sich wieder ein wenig erholen.

Diesmal konnte ich mich durchsetzen und den Weg nach Cavaione zu Fuss zurücklegen. Das hiess, bis kurz oberhalb Monte Scala fuhr mich Secondo, er meinte, der Weg wäre noch lang genug. Da die Luft draussen immer noch kühl war, schritt ich schnell voran. Es war herrlich, durch den leicht verschneiten Wald den Hang hinauf zu wandern. Ich war dabei so in Gedanken versunken, dass ich erschrak, als vor mir plötzlich Äste knackten. Ich schaute auf und konnte zwei Hirschkühe beobachten, welche mich offenbar gefährlich genug fanden, um vor mir Reissaus zu nehmen. Ich glaube, das waren meine ersten Hirsche, die ich in freier Natur beobachten konnte. Sie sind zwar nicht so imposant wie Elche, aber da ich hier kaum auf diese Hirschgattung treffe, war ich mit den beiden Damen mehr als zufrieden

Bis zum Dorf Cavaione und noch die 200 Höhenmeter weiter zu Annas Haus brauchte ich eine knappe Stunde. Ich hatte daheim kurz Zeit, ein wenig zu feuern und die Ställe zu schliessen, bis ich schon wieder abgeholt wurde. Diesmal kam mich Ethel holen. Seit bald einem Jahr haben Sie und Danilo ihren festen Wohnsitz in Cavaione. Jeden Tag fahren sie mit dem Auto die Strasse hinunter zur Arbeit – auch im Winter. Das Haus von den beiden gehörte früher meinem Zio Michele. Es ist klein aber extrem gemütlich. Von aussen sieht das Haus fast noch so aus, wie ich es von meiner Kindheit her kenne. Man hat gottlob die dicken Steinmauern belassen, was dem Haus ungeheuer viel Charme gibt. Auch innen zeugen alte Möbel, der alte Holzherd und alte Geräte davon, dass das Haus schon viele Jahre auf dem Buckel hat. Es wurde ein gemütlicher Abend bei Ethel und Danilo und ich erfuhr viel über das Leben in Cavaione und meine eigenen Wurzeln.

Ho detto a Danilo che voglio scrivere anché qualche cosa in Italiano – et voilà ! Grazie mille per la sera !

Dank noch ein paar Gläschen Wein schlief ich danach herrlich!

Heute war es dann – wie schon geschrieben – frühlingshaft warm. Meine Geisslein sprangen wieder wie wild auf den Wiesen herum, bettelten die ganze Zeit für Brot oder andere Leckereien und erhielten vermutlich mehr, als sie dürften. Aber als Geissenmarie habe ich da sicher ein paar künstlerische Freiheiten.

Morgen ist bereits mein letzter Tag hier im Paradies, ich werde ihn noch einmal tüchtig nützen, vielleicht in der Frühlingssonne wandern und dann vermutlich vorsorglich ein wenig wehmütig werden. Lebt man einmal im Paradies, verlässt man es wahrlich nicht gern.

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