Herbstzauber

Ich gebe es zu, im Moment bin ich komplett verzaubert. Verzaubert von einem Herbst in Norwegen, den ich so nicht erwartet hat. Zwar weiss ich, dass im September die Farbintensität der Natur gewaltig ist, erlebte ich dies doch schon im letzten Jahr, aber diesen Herbst hat wer auch immer noch eine Schippe dazugelegt. Diese Farben!

Seit etwas mehr als einer Woche sind Stefan und ich in Norwegen, klar, das schrieb ich schon. Eine Woche durften wir wieder Florians Hütte in Mesnali bewohnen, von wo aus wir bereits die ersten fantastischen Wanderungen unternahmen. Am Sonntag nach unserer Ankunft ging es von Moste aus in die Natur. Da wir nicht wussten, wie sich meine Lungen und auch mein Allgemeinzustand halten würden, gab es noch keine lange Runde. Vor allem aber waren wir fast die ganze Zeit auf Wanderwegen, was für Stefan und mich eher untypisch ist. Aber schön war es allemal. Die Sonne tauchte die Umgebung in sattes Rot, Gelb, Orange, es war eine Pracht.

Da ich am Schluss zwar müde, aber nicht völlig ausgepowert war, beschlossen wir, am nächsten Tag grad eine zweite Wanderung dranzuhängen. Diesmal ging es vom Nattrudstilen aus, einer Gegend, die wir mittlerweile gut kennen, die uns aber immer wieder aufs Neue fasziniert. Diese Wanderung wurde von Nebel begleitet, was auch seinen Reiz hat. Mystisch fanden wir das Gelände und es hätte uns nicht gewundert, wenn wir irgendwo Kobolden oder Trollen begegnet wären. Nun denn, wir sahen niemanden, nicht einmal einen Menschen.

Da wir natürlich immer noch gerne OL laufen, wenn halt nicht mehr so schnell und ausdauernd, ging es am dritten Tag auf imaginäre Postensuche. Ich fand meine Standorte nahezu perfekt, Stefan war mit seiner «Performance» nicht so zufrieden. Trainiert hatten wir im Sollifjell. Dann ging es aber wieder auf Wanderschaft. Das Lunkefjell war unser nächstes Ziel, wir nahmen uns viel Zeit, um zu Geniessen und fanden einmal mehr, dass der Herbst farblich etwas vom Schönsten ist. Ich taufte diese Wanderung «Zauber in Rot». Es war fantastisch. Hier wagten wir uns bereits wieder ein wenig neben die Wanderwege, wir können es einfach nicht lassen.

Tags darauf gab es dann die grosse «Sumpftour». Unser Ziel, respektive unser Kehrpunkt, war der Vesletjern, ein wunderschöner See mitten in einer gewaltigen Sumpflandschaft. Stefan hatte eine Route meist abseits von Wegen den Sümpfen entlang gewählt. Wir wateten tapfer und kamen trotzdem kaum vorwärts. Auch die Wege, die wir doch noch fanden, waren nicht besser: nass, nass, nass. Am Schluss waren wir ganz schön geschafft, aber es war eine wahnsinns Runde. Jetzt kommts, Achtung: diese Farben! Ein Zauber in Gelb.

Da meine Kondition nach der Sumpftour etwas in Schieflage geraten war, beschloss ich, am nächsten Tag nur eine kurze Wanderung ins Sollifjell und Mostefjell zu machen. Stefan rannte noch einmal mit Karte und Kompass in der Gegend herum. Es windete auf den Fjells stark, was ich extrem genoss. Dafür war fast niemand oben am Wandern. Ausser einem wild herumrennenden Stefan sah ich sonst niemanden.

Nach der ersten Woche in Norwegen verabschiedeten wir uns dann von Florians Hütte und reisten nordwärts. Unser erstes Ziel war dabei ein Wald bei Folldal, ein Wald, der fast nur aus brutal weichen Rentierflechten besteht. Hier wollten wir wieder einmal trainieren, wir waren bisher schon zweimal in diesem Wald. Wie schon bei den ersten Trainings, waren wir wieder hell begeistert. Das hügelige, mit diesen weisslichen Flechten bedeckte Gebiet war wunderschön. Allerdings mussten wir höllisch aufpassen, nicht auszurutschen, denn die Flechten rutschten mit. Da uns das Training so gut gefallen hatte, gingen wir danach noch einmal eine Stunde spazieren, diesen Zauber in Weiss mussten wir uns einfach noch bei gemütlichem Tempo anschauen.

Dann die nächsten beiden Tage, ich kann nur schreiben: der absolute Wahnsinn. Wir haben in Oppdal eine kleine Ferienwohnung gefunden und von hier aus zwei fantastische Wanderungen unternommen. Die erste war gestern. Da wir nicht so recht wussten, wie sich das Wetter entwickeln würde, wollten wir nur eine kurze Runde drehen. Und schauen, ob man tatsächlich Moschusochsen zu sehen bekommt, was der Grund für die Woche in dieser Region ist. Oberhalb von Oppdal liegt nämlich das Dovrefjell, und dort leben die einzigen Moschusochsen Norwegens. Wir glaubten ehrlich gesagt nicht, dass wir überhaupt und dann schon auf der ersten Wanderung diese imposanten Tiere sehen würden, aber wir täuschten uns gewaltig. Wie aus dem Nichts stand ein stattlicher Kerl in guter Entfernung vor uns. Wir näherten uns dem Tier so gut es ging und waren begeistert.

Kurz darauf trafen wir gar auf eine Gruppe von Moschusochsen und einen Franzosen aus Chamonix. Der Franzose lotste uns recht nahe an die Tiere ran, er kannte sich offenbar gut aus und erzählte uns, dass er bereits seit früh am Morgen unterwegs war und schon einige Moschusochsen fotografieren konnte. Wir schossen auch unzählige Fotos, den Tieren schien unsere Anwesenheit völlig egal zu sein.

Es begann dann zu schneien und wir traten den Heimweg an. Die Farbenpracht des Dovrefjells war trotz Schneefall gewaltig. Rot, Gelb, Orange, Grün, es gab alles.

Heute war dann die etwas längere Dovrefjell-Runde geplant. Das Wetter sollte gut sein, Stefan und ich waren voller Vorfreude auf die vor uns liegende Wanderung. Wir fuhren etwas weiter hinauf, parkten und marschierten los. Es windete zwar gewaltig, aber kalt war uns trotzdem nicht. Auch zeigte sich die Sonne bereits am Morgen, sodass die Farben noch mehr zur Geltung kamen. Nach gut einer Stunde wäre ich dann – in Gedanken versunken – fast auf den ersten Moschusochsen gefallen. Der Kerl lag nämlich direkt neben dem Wanderweg und sonnte sich. Hätte Stefan nicht gerufen, wäre ich vermutlich wirklich in das Tier hineingelaufen. So konnten wir jedoch rechtzeitig den Wanderweg verlassen und einen Umweg machen, um das Tier nicht zu erschrecken. Das war eindrücklich. Nicht viel später erblickten wir dann an einer Flanke im Schnee eine ganze Herde Moschusochsen. Diese kamen – der Zufall wollte es so – wiederum nahe an unseren Wanderweg, sodass wir diesmal eine ganze Gruppe im Schneegestöber bewundern durften. Das sind riesen Tiere, gewaltig!

Danach war für ein paar Stunden Schluss mit Moschusochsen. Stefan und ich wanderten in einem Tal einem Fluss entlang, der in einen See überging. Dort verliessen wir das Tal und stiegen einen verschneiten Hang hinauf, um oben auf ein riesiges Steinplateau zu kommen. Stefan hatte gehofft, hier auf Moschusochsen zu treffen, aber da waren keine. Erst als wir bereits wieder auf der anderen Seite hinunterstiegen, um die letzten Kilometer zurückzulegen, trafen wir noch einmal auf eine Gruppe von Moschusochsen – wieder ganz nahe am Wanderweg. Auch diese Tiere liessen sich durch uns nicht stören und dösten friedlich auf der Bergweide.

Nun war Stefan wieder zufrieden. Über Stock und Stein, respektive durch Sümpfe und nasse Weiden ging es langsam dem Auto entgegen. Dann noch einmal: ein einzelnes Männchen posierte direkt vor unserer Nase, als ob er auf uns gewartet hätte. Noch einmal waren wir tief beeindruckt, das Tier irgendwie nicht. Nun ja. Danach ging es dann zügig zum Auto zurück, nicht ohne jedoch diese wunderbare Gegend noch einmal in vollen Zügen zu geniessen. Norwegens Herbstzauber hält uns noch immer gefangen.

Morgen geht es Richtung Sunndalsøra, wir wollen etwas kürzer und steiler wandern und dafür auf Fjorde hinunterblicken. Unsere Beine bräuchten dringend einmal eine Pause, aber bei dieser Farbenpracht müssen sie noch ein wenig warten!